LG Hamburg: Youtube haftet wegen Urheberrechtsverletzung auf Unterlassung und Schadenersatz auch für Inhalte Dritter

Die Haftung des Plattformbetreibers für nutzergenerierte Inhalte (User Generated Content) ist und bleibt im Social Web ein wichtiges Thema. Die Grundsätze zur Verantwortlichkeit solcher Intermediäre ist nicht nur für Betreiber entsprechender Plattformen von entscheidender Bedeutung, sondern auch für diejenigen die gegen entsprechend rechtsverletzende Inhalte auf solchen Internetplattformen vorgehen wollen, z.B. weil diese deren Urheber-, Marken- oder auch Persönlichkeitsrechte verletzen.

In einem aktuellen Urteil hat das LG Hamburg (Urteil vom 03.09.2010 Az. 308 O 27/09) – im Gegensatz zu früheren Entscheidungen – eine unmittelbare Verantwortlichkeit der Videoplattform Youtube (und dessen Alleingesellschafter der Google Inc.) für die Veröffentlichung urheberrechtlicher Inhalte angenommen. Diese Inhalte waren von Nutzern der Plattform auf www.youtube.de hochgeladen worden.

Überraschend ist die Entscheidung insofern, als dass bisher eine entsprechende Verantwortlichkeit von den Hamburger Landrichtern nur angenommen worden war, wenn der Plattformbetreiber nach entsprechender Kenntnisnahme (in der Regel durch entsprechende Kennzeichnung (sogenanntes „Flagging“)) die rechtsverletzenden Inhalte nicht (oder nicht rechtzeitig) entfernt hatte (Vgl. LG Hamburg, Urt. v. 05.12.2008 – Az.: 324 O 197/08 und Urt. v. 05.03.2010 – Az.: 324 O 565/08).

Bleibt diese Rechtsprechungslinie, die schon aufgrund einzelner weniger Indikatoren von einem Zu-Eigenmachen ausgeht, bestehen und/oder setzt sich auch bei anderen Gerichten durch, so bedeutet dies ein nicht unerhebliches Risiko für alle Plattformen die mit nutzergenerierten Inhalten (User Generated Content) „arbeiten“.

A. Zum Sachverhalt

Die entsprechende Pressemitteilung des LG Hamburg vom 06.09.2010 führt zum zugrundeliegenden Sachverhalt Folgendes aus:

Der Kläger hat in dem Rechtsstreit geltend gemacht, Inhaber verschiedener nach dem Urhebergesetz geschützter Leistungen (als Werkbearbeiter, Produzent, Verleger) zu sein, die sich in Darbietungen und Aufnahmen der Künstlerin Sarah Brightman verkörpern. Solche Aufnahmen fanden sich in Videos, welche von Nutzern bei Youtube hochgeladen worden waren und dann über Youtube aufrufbar waren. Die Nutzung der Aufnahmen war aus verschiedenen Gründen urheberrechtsverletzend: Rechte zur Nutzung der Aufnahmen waren nicht eingeräumt worden. Die Aufnahmen waren außerdem zum Teil mit anderen Inhalten der Videos (Filmen, Bildern, Texten) verbunden, was einer eigenständigen Rechtseinräumung bedurft hätte. Zum Teil handelte es sich auch um nicht autorisierte Livemitschnitte.

B. Entscheidung des LG Hamburg

Die Entscheidung scheint sich auch an der Rechtsprechungslinie in Sachen „Marions Kochbuch“ zu orientieren, die von den Hamburger Richtern bereits vertreten und vom Bundesgerichtshof bestätigt worden ist (Vgl auch Gravierende Folgen für Zukunft des Web 2.0 und Social Media – BGH bestätigt Haftung für User Generated Content).

Sowohl die Youtube LLC als auch die Google Inc. sind – entgegen der Rechtsprechung in den USA – offensichtlich nicht nur zur Unterlassung, sondern – zumindest dem Grunde nach – auch zur Zahlung von Schadenersatz verurteilt worden. Die Schadenersatzhöhe wird festgelegt werden, wenn die Beklagten, wozu sie nun auch gerichtlich verpflichtet worden sind, umfassend Auskunft über die Urheberrechtsverletzungen (Zahl, Dauer usw) erteilt haben.

Die Pressemitteilung dazu:

Das LG ist davon ausgegangen, dass die Youtube LLC sich die von den Nutzern ihrer Plattform hochgeladenen Inhalte zu Eigen gemacht hat. Daraus folgen erhöhte Prüfpflichten im Hinblick auf die Inhalte der Videos, denen Youtube LLC nach Auffassung der erkennenden Kammer nicht nachgekommen ist. Die formularmäßige Versicherung des jeweiligen Nutzers, er habe alle erforderlichen Rechte an dem Video, entbindet die Youtube LLC nicht von ihrer Pflicht, sich von dem Nutzer im Einzelfall nachweisen zu lassen, dass er über die erforderlichen Rechte tatsächlich verfügt. Dies gilt erst recht vor dem Hintergrund, dass Nutzer die Möglichkeit haben, die Plattform anonym zu nutzen.

Damit weitet das Landgericht die Verantwortlichkeit entsprechender Plattformbetreiber – wie bereits in einem früheren Beitrag befürchtet – zumindest im Zusammenhang mit Urheberrechtsverletzungen unverhältnismäßig weit aus. Youtube kommt hier nicht die interessengerechte Haftungsprivilegierung zugute, erst nach Kenntnis und unterlassener Entfernung zu haften (sog. Notice-and-Takedown Grundsatz). Stattdessen gehen die Richter von einem Zu-Eigenmachen aus (weiterführend auch Gravierende Folgen für die Zukunft des Web 2.0 und Social Media- BGH bestätigt Haftung für User Generated Content ) und damit einer unmittelbaren Verantwortlichkeit für die Urheberrechtsverletzungen, die durch das Hochladen Dritter verursacht werden. Da dies für entsprechende Plattformbetreiber nicht ohne weiteres erkennbar ist und somit eigentlich auch nicht verhindert werden kann, bedeutet diese Rechtsprechungslinie ein nicht unerhebliches Risiko für entsprechende Geschäftsmodelle.

Entscheidend für ein Zu-Eigenmachen, welches eben zu dem Verlust der sonst gängigen Haftungsprivilegierung für nutzergenerierte Inhalte führt, sind wohl auch hier die Nutzungsbedingungen, mit denen sich Youtube entsprechende Verwertungsrechte an den hochgeladenen Inhalten einräumen lässt. In Nr. 10.1 der entsprechenden Nutzungsbedingungen werden Youtube entsprechende nicht-exklusive Nutzungsrechte eingeräumt. Daraus wird offensichtlich schon ein Zu-Eigenmachen abgeleitet, aus dem die Tatsache, dass die Nutzer versichern müssen, dass sie keine urheberrechtswidrigen Inhalte hochladen, nach Meinung der Richter nicht wieder herausführt.

Nachdem ein Zu-Eigenmachen bereits auf Grundlage grundsätzlichen Ausgestaltung (sprich den Nutzungsbedingungen) von Youtube angenommen wird, spricht einiges dafür, dass die Plattform – zumindest nach dieser Argumentation – für alle urheberrechtswidrig veröffentlichten Videos unmittelbar haftet. Dies hätte für Youtube gravierende Auswirkungen.

Kürzlich war die GEMA vor dem LG Hamburg in einem einstweiligen Verfügungsverfahren, bei dem ebenfalls urheberrechtliche Ansprüche geltend gemacht worden waren, erfolglos gegen Youtube vorgegangen. Der Antrag war aber nicht am Vorliegen eines entsprechenden Unterlassungsanspruchs, sondern am Fehlen der für den einstweiligen Rechtsschutz erforderlichen Dringlichkeit gescheitert. Nachdem die GEMA offensichtlich schon lange Zeit vorher gewusst hatte, dass die streitgegenständlichen Videos bei Youtube verfügbar waren, war diese Entscheidung des LG Hamburg nicht nur richtig, sondern eigentlich auch voraussehbar. Nach dem oben genannten Urteil dürften die Erfolgsaussichten im Hauptsacheverfahren (d.h. außerhalb der einstweiligen Verfügung) durchaus hoch einzuschätzen sein.

C. Hinweise für Plattformbetreiber

Für Betreiber von Social Media und Web 2.0 Plattformen sind hinsichtlich der Haftungsbegrenzung zukünftig unbedingt folgende Grundsätze zu beachten:

1. Um ein „Zu-Eigenmachen“ von User Generated Content zu vermeiden, sollten Plattformbetreiber fremde Inhalte als solche deutlich kenntlich machen und sich die Nutzungsrechte an fremden Inhalten in den AGB nur insoweit einräumen lassen, wie für das eigene Geschäftsmodell dringend notwendig ist.

2. Hinweisen auf rechtsverletzende Inhalte, die in der Regel über interne Meldesysteme (Abuse-Buttons) oder Abmahnungen eingehen, sollten unbedingt auf ihre Begründetheit geprüft werden.

3. So die geltend gemachte Rechtsverletzung plausibel erscheint, sollte der entsprechende Beitrag unverzüglich gelöscht werden.

4. Danach trifft den Betreiber die Pflicht sein Portal im Rahmen des technisch Möglichen und im Einzelfall Zumutbaren so zu überwachen, dass „kerngleiche“ Rechtsverstöße nicht mehr vorkommen. Denkbare Mechanismen sind beispielsweise Textfilter, deren Ergebnisse dann noch einmal einer Einzelprüfung zu unterziehen sind.

D. Hinweise für Rechteinhaber

Derjenige der wegen nutzergenerierter Inhalte auf Youtube oder anderen Web 2.0 Plattformen seine Rechte verletzt sieht, kann gegen den Plattformbetreiber jedenfalls dann vorgehen, wenn dieser rechtsverletzende Inhalte nach (nachweisbarer) Kenntnisnahme nicht von der Plattform entfernt. Dies gilt für Verletzungen etwaiger Urheber-, Marken- und Wettbewerbsrechte genauso wie etwaige rufschädigende Inhalte oder andere rechtswidrige Eingriffe in das allgemeine Persönlichkeitsrechte oder den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb.

Bleibt die Argumentation des LG Hamburg bestehen, so kann auf Grundlage der aktuellen Gestaltung von Youtube zumindest bei urheberrechtsverletzenden Inhalten sogar ohne vorherige „Verwarnung“ der Plattformbetreiber unmittelbarer auf Unterlassung und Schadenersatz in Anspruch genommen werden.

E. Resümee

Auch wenn ich das oben referierte Urteil in der Sache nicht für richtig halte, zeigt die Entscheidung zunächst einmal, dass man bei entsprechenden Erfolgsaussichten auch vor der gerichtlichen Geltendmachung von Ansprüchen gegenüber „Internetgrößen“ nicht unbedingt zurückschrecken muss. Bei vielen Mandanten stelle ich – nach wie vor – eine große Zurückhaltung fest, auch berechtigte Ansprüche gegenüber Google, Facebook & Co durchzusetzen, weil man meint, entweder keinen deutschen Gerichtsstand begründen zu können oder aber eben keine Chancen zu haben. Bisweilen eine falsche Einschätzung, wie man aus dieser (aber auch einigen anderen) Entscheidungen ersehen kann.

Ansonsten halte ich die Argumentation und auch die daraus resultierende Verschärfung der Verantwortlichkeit von Youtube für fremde Inhalte für falsch. Aus meiner Sicht haben die bisherigen Grundsätze zur Haftung des Betreibers einer Internetplattform für fremde Inhalte in der Regel einen sinnvollen und gerechten Ausgleich zwischen den Interessen desjenigen, dessen Rechte im Internet verletzt worden sind und denen des Plattformbetreibers hergestellt.

Der Inhaber von Urheber- oder Markenrechten oder derjenige dessen Persönlichkeitsrechte verletzt worden sind, konnte den Seitenbetreiber mit einer entsprechenden Mitteilung von einer Rechtsverletzung in Kenntnis setzen, um deren Löschung zu bewirken. Wenn dieser den rechtsverletzenden Inhalt dann nicht entsprechend zeitnah gelöscht hat, haftete der Plattformbetreiber neben dem Nutzer, der den Inhalt eingestellt oder hochgeladen hat. Löscht der Betreiber den Inhalt aber rechtzeitig, bleibt dem Betroffenen nur noch der Dritte, der den eigentlichen Inhalt ja auch eingestellt hat. Dem Plattformbetreiber wird so die Möglichkeit gelassen, eine Web 2.0 Plattform zu betreiben, ohne jeden eingestellten Inhalt vor der Veröffentlichung redaktionell zu prüfen. Eine solch weitreichende Kontrollpflicht würde Deutschland als Standort für solche zukunftsträchtigen Internetmodelle äußerst unattraktiv machen. Schwer wiegt insofern auch der Fakt, dass für den Plattformbetreiber oft nicht erkennbar ist, ob der jeweilige Inhalt etwaige (Urheber-)rechte verletzt.

Nun aber werden diese Grundsätze ausgehebelt, indem aufgrund verschiedener Indizien von einem Zu-Eigenmachen ausgegangen wird. Es wird sich nun in der genauen Begründung des Urteils zeigen müssen, welche Gründe vorliegend zur Annahme eines Zu-Eigenmachens geführt haben. Leider verdichtet sich die Vermutung, dass zumindest das LG Hamburg schon aufgrund einiger weniger Indikatoren (wie hier den Nutzungsbedingungen) von einem Zu-Eigenmachen ausgeht.

Sofern sich auch andere Gerichte oder höhere Instanzen dem anschließen, hätte die in jedem Fall gravierende Folgen für alle Web 2.0 und Social Media Plattformen, da die Einräumung von (nicht exklusiven) Nutzungsrechten bisweilen notwendiger Bestandteil des Geschäftsmodells ist.

Gerne stehen wir bei weitergehenden Fragen oder Interesse an einem entsprechenden Inhouse Workshop telefonisch unter +49 (0) 711 860 40 025 oder via E-Mail carsten.ulbricht@menoldbezler.de zur Verfügung.

Comments

  1. Oliver Welz says:

    Hallo Herr Ulbricht,
    wie sieht es dann eigentlich aus, wenn ich Inhalte von Youtube in eigene Webprojekte übernehme. Z.B. per link, der aber ein komplettes videoframe auf meiner Seite anzeigt.
    Hafte ich dann wenn das betreffende Video Urheberrechte verletzt?

    Gruß aus würzburg

    O.Welz

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