Wieder einmal „tobt“ eine Diskussion um die Frage, ob fremde Posts bei Twitter (kurz „Tweets“) übernommen werden dürfen oder ob dies als „Diebstahl geistigen Eigentums“ urheberrechtlich verboten ist.
Blogbeiträge wie „Klauen… umbauen.. verkaufen. Hehlerei?“ oder „Ruined my day“ kritisieren die Übernahme von Tweets als eine Form von „Gedankenhehlerei“. Auslöser dieser intensiv geführten Diskussion ist die Veröffentlichung des Buches „Ich brauche einen neuen Wecker. Meiner klingelt immer, während ich schlafe: Sprüche, die dir den Tag retten“, in dem unterschiedliche kurze Sprüche veröffentlicht werden, für die verschiedene Twitternutzer das Urheberrecht für sich beanspruchen und nun in den Amazon Bewertungen gegen den Kauf des Buches angehen. Ein Thema, welches aktuell auch bei Twitter unter den Hashtags #madebytwitter und #mademyday intensiv diskutiert und mit dem sich auch der Chefredakteur der BILD-Zeitung Kai Diekmann kürzlich schon auseinenandersetzen durfte.
In der nachfolgenden Betrachtung soll es dabei nicht um eine ethisch-moralische Bewertung gehen, sondern allein um die Frage, ob Tweets urheberrechtlich geschützt sind und wann die Nutzungsbedingungen von Twitter, für den Fall, dass Urheberrechtsschutz begründet werden kann, eine Übernahme dennoch möglicherweise legitimieren. Eine Frage, mit der sich verschiedene geschätzte Anwaltskollegen und auch ich mich bereits im Jahr 2009 in einem entsprechenden Blogbeitrag auseinandergesetzt haben.
A. Urheberrechtsschutz von Tweets
Ob Tweets urheberrechtlich geschützt sind, lässt sich nicht generell beantworten, sondern ist stets eine Frage des Einzelfalles.
Die Kurztexte bei Twitter bedienen sich dem Ausdrucksmittel der Sprache, so dass allein ein urheberrechtlicher Sprachwerkschutz nach § 2 Abs.1 Nr. 1 UrhG in Betracht kommt. Für die urheberrechtliche Schutzfähigkeit kommt es – wie bei allen Werkarten – entscheidend auf das Vorliegen einer persönlichen geistigen Schöpfung im Sinne des § 2 Abs. 2 UrhG (sogenannte Schöpfungshöhe) an. Dazu müssen die dort genannten Schutzvoraussetzungen vorliegen.
Urheberrechtlicher Schutz genießt danach nur, was das Ergebnis schöpferischer Tätigkeit ist und so die individuelle Prägung seines Urhebers prägt. Diese Prägung muss dabei eine bestimmte Gestaltungs- oder Schöpfungshöhe erreichen, um einfache Alltagserzeugnisse auszusondern.
Die konkreten Anforderungen an das Maß der Gestaltungshöhe sind umstritten. Wegen der umfangreichen Befugnisse des Urhebers und der langen Schutzdauer ist mit der Rechtsprechung ein nicht zu geringer Grad an Gestaltungshöhe zu verlangen.
Das urheberrechtlich geschützte Werk muss eine erhebliche individuelle Prägung besitzen. Den Grad der Individualität bestimmt die Rechtsprechung durch einen Vergleich des Gesamteindrucks des Originals mit seinen prägenden Gestaltungsmerkmalen mit der Gesamtheit der vorbekannten Gestaltung (BGH GRUR 2004, 855 ff. – Hundefigur).
Das Urhebergesetz schließt auf diese Weise Erzeugnisse aus, die aus allgemeinen, insbesondere aus allgemein zugänglichen und naheliegenden Inhalten und Formen bestehen, ohne dass der Urheber etwas Eigenes hinzugefügt hätte. Das Werk muss sich damit entsprechend unterscheiden. Tut es dies nicht, kommt ein Schutz nach dem Urhebergesetz nicht in Betracht. Ob dem Betrachter ein Werk gefällt, ob er es für geschmacklos, witzig oder gar unanständig hält, ist insofern völlig unerheblich. Insofern wird man Kriterien wie Retweets, Favorites oder Follower eines Twitternutzers bei der Beurteilung der Schöpfungshöhe wohl nicht heranziehen können.
Gestaltungshöhe kann sich bei Sprachwerken sowohl aus der Form der Darstellung als auch aus dem dargestellten Inhalt selbst ergeben; in Rechtsprechung und Literatur wird dies gemein hin bezeichnet als „Gedankenformung und -führung des dargestellten Inhalts“.
Generell für alle Sprachwerke gilt, dass Kürze tendenziell gegen das Erreichen der Gestaltungshöhe spricht: zwar ist bei Sprachwerken die sogenannte „kleine Münze“ des Urheberrechts geschützt, so dass grundsätzlich auch kurze sprachliche Ausdrucksformen geschützt sein können (vgl. OLG Hamburg ZUM 1998, 1041 – Samba De Janeiro). Jedoch ist der Gestaltungsfreiraum immer begrenzter, je kürzer das Sprachgebilde ist. Deshalb ist davon auszugehen, dass kurzen Sätzen in der Regel die notwendige Gestaltungshöhe fehlt (vgl. OLG Hamburg ZUM 1998, 1041 – Samba De Janeiro; Fromm/Nordemann/Axel Nordemann Urheberrecht, § 2 Rdnr. 919). Besonders „geistvollen“ Versen ist jedoch vereinzelt als „kleine Münze“ Schutz zugebilligt worden (vgl. OLG Köln GRUR 1934, 758 ff.).
Legt man die oben ausgeführten Grundlagen auf die üblicherweise bei Twitter veröffentlichen Beiträge an, so ist davon auszugehen, dass der weit überwiegenden Zahl von Tweets – gerade auch wegen der Beschränkung auf 140 Zeichen – wohl kein Urheberrechtsschutz zugebilligt werden kann. Entscheidend ist dabei, dass die Rechtsprechung entsprechend kurzen Sprüchen Urheberrechtsschutz eben nur im Ausnahmefall und nur dann zubilligt, wenn der Urheber mit Hilfe der Auswahl, der Anordnung und der Kombination verschiedener Wörter seinen schöpferischen Geist in origineller Weise zum Ausdruck zu bringen vermag (vgl. EuGH ZUM 2009, 945 (947) – Infopak/DDF). Allein die Tatsache, dass ein Spruch einen gewissen Witz entfaltet, führt nach der Rechtsprechung jedenfalls nicht zu einem Urheberrechtschutz.
Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass bei solchen sehr kurzen Schriftwerken, die gerade durch die Dynamik der Sozialen Medien eine große und ständig wachsende Verbreitung finden, ein weitergehendes Freihaltebedürfnis zu berücksichtigen ist als bei manch anderen Werkarten (vgl. Bundesverfassungsgericht ZUM 2005, 387 – BGHZ, 13, 143 (147) – Les-Paul-Gitarren).
Dies führt wohl zu dem Ergebnis, dass Tweets in aller Regel urheberrechtlich nicht geschützt sind, da bei 140 Zeichen nur in Ausnahmefällen eine hinreichende Schöpfungshöhe angenommen werden kann.
B. Rechtsfolge bei urheberrechtlich nicht geschützten Tweets
Wenn ein Tweet keine entsprechende Schöpfungshöhe zukommt, kann mangels urheberrechtlichen Schutzes jeder diesen Spruch (auch ohne Quellhinweis) beliebig verwenden. Dies gilt gegebenenfalls auch für eine kommerzielle Verwertung im Rahmen eines Buches oder anderer Medien. Demgemäß kann ein Nutzer von Twitter, der einen derartigen Spruch vorher veröffentlicht hat, die Veröffentlichung bzw. Verbreitung auch nicht urheberrechtlich verbieten.
Ein „normales“ Retweeten wird nach den rechtlichen Grundsätzen wohl generell keine urheberrechtlichen Ansprüche auslösen können.
C. Weitere Argumente gegen urheberrechtliche Ansprüche bei der Übernahme von Tweets
Sollte der „Erfinder“ eines Tweets tatsächlich einmal rechtlich gegen die ungefragte Übernahme vorgehen wollen, so sollte im Hinblick auf die weitreichende Verbreitung vieler Sprüche im Internet berücksichtigt werden, dass diejenigen, die das Urheberrecht an einem Tweet für sich beanspruchen mit Darlegungs- und Beweisproblemen hinsichtlich der Urheberschaft belastet sein dürften.
Desweiteren ist nicht ganz zu vernachlässigen, dass der jeweilige Twitternutzer auf Grundlage der Nr.5 der Terms of Service von Twitter, denen er bei der Registrierung zugestimmt hat, Twitter oder anderen mit Twitter zusammenarbeitenden Unternehmen, Organisationen oder Einzelpersonen das Recht eingeräumt hat, „seine“ Inhalte zusätzlich zu verwenden. Wenn und soweit dies mit Funktionen auf Grundlage der Twitter Schnittstelle (API) erfolgt, dürfte eine entsprechende Verwendung durch die Terms of Service von Twitter legitimiert sein.
Schließlich könnte bei der Frage nach der Übernahme von Tweets im Internet auch die „Vorschaubilder“-Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (siehe BGH: Keine Urheberrechtsverletzung durch Google Bildersuche) eingreifen. In diesen Urteilen hat der BGH – vereinfacht ausgedrückt – entschieden, dass derjenige der Inhalte ins Internet einstellt, sich nicht gegen „übliche Nutzungshandlungen im Internet“ wehren kann, sofern nicht entsprechende (technisch mögliche) Vorkehrungen gegen diese Erfassung getroffen worden sind. Auf Twitter übertragen bedeutet dies, dass derjenige der Tweets über Twitter zum „Teilen“ öffentlich zugänglich macht, mit den „im Internet üblichen Nutzungshandlungen“ wird rechnen und diese hinnehmen müssen. Auch wenn die Veröffentlichung in einem Buch hiervon wohl kaum umfasst sein wird, ist die Anwendung dieser Grundsätze bei spezifischen „Übernahmen“ im Internet durchaus denkbar.
Neben der zentralen Frage der Schutzfähigkeit von Tweets, stellen sich bezüglich der Geltendmachung urheberrechtlicher Ansprüche mithin noch weitere Rechtsfragen, die sich für den „Urheber“ als problematisch darstellen könnten.
D. Resümee „Urheberrechtsschutz für Tweets“
Dass einige Twitternutzer es kritisieren, wenn Tweets, die sie sich ausgedacht haben ohne Quellnennung von anderen veröffentlicht werden, erscheint zumindest nachvollziehbar. Dies mag auch nicht der bei Twitter und anderen Sozialen Medien geübten Netikette entsprechen. Insoweit ist die Kritik an dem oben genannten Buch möglicherweise auch verständlich, wenn und soweit tatsächlich Sprüche von bestimmten Twitternutzern übernommen worden sind.
Auf Grundlage der oben aufgeführten Argumente führt eine entsprechende Übernahme eines Tweets in den meisten Fällen aber wohl nicht zu urheberrechtlichen Ansprüchen.
Im Ergebnis halte ich es auch für richtig, dass bei der ständig zunehmenden Zahl von Inhalten im Internet für die Annahme von Urheberrechtsschutz eine interessengerechte Schwelle gelten muss. Sonst kann jeder, der einen solch kurzen Post ohne entsprechende Legitimation- unabhängig ob privat oder mit kommerziellem Interesse – veröffentlicht, bis zu 70 Jahre nach dem Tod des Urhebers im Wege der Abmahnung oder Klage auf Unterlassung und Schadenersatz in Anspruch genommen werden, was doch etwas unverhältnismässig erscheint. Diese Rechtsfolge sollte jedem, der generell Urheberrechtsschutz für Tweets fordert, klar sein.
So wie das Leistungsschutzrecht für Presseverleger nachvollziehbarerweise kritisiert wird, so erscheint auch der Urheberrechtsschutz von 140 Zeichen langen Sprüchen in der heutigen Zeit durchaus fragwürdig, zudem wenn diese über Dienste wie Twitter zum Zwecke der Weiterverbreitung (über Retweets und andere Technologien) bewußt öffentlich zugänglich gemacht werden.
Da man dieses Thema aber natürlich auch aus unterschiedlichen Perspektiven betrachten kann und die Übernahme von Tweets auch in meinen Workshops ein immer wieder diskutiertes Problem ist, freue ich mich über Kommentare zu der Übernahme von Tweets oder anderen kurzen Posts.
Wie zuletzt auch im Rahmen der Veranstaltung „Urheberrecht in der digitalen Kreativwirtschaft“ diskutiert, bei der ich neben einigen namhaften Kennern der Materie (siehe Veranstaltungsflyer) über die aktuellen Rechtsprobleme sprechen durfte, ist das Urheberrecht angesichts der rasanten Entwicklungen des Internet „etwas aus den Fugen“ geraten. Aus meiner Sicht benötigen wir ein neues, europäisches Urheberrecht, welches gängige und weit verbreitete Handlungen von Internetnutzern nicht mehr kriminialisiert. Zugleich muss neu definiert werden, wie den Urhebern und Rechteinhabern schützenswerter Werke auch in einer digitalisierten Welt angemessene Rechte eingeräumt werden, damit diese ihre Werke auch in Zukunft wirtschaftlich angemessen verwerten können (siehe zu denkbaren Gestaltungsmöglichkeiten auch „Schreckgespenst ACTA ?! – Urheberrechtsdilemma, Informationsdefizite und der Versuch einer differenzierten Betrachtung“).
Die aktuellen Diskussionen um die Schutzfähigkeit von Tweets und auch aktuelle Entwicklungen in der Rechtsprechung zeigen überdeutlich, dass hier aktuell einiges im Argen liegt…
Bezüglich der weiter wachsenden Nutzung des Internet sehe ich die Schaffung der notwendigen Medienkompetenz (auch in urheberrechtlicher Hinsicht) als große Aufgabe. Akzeptanz für die wichtigen Grundlagen des Urheberrechtes wird man nur erreichen, wenn der Sinn und Zweck, aber auch die Grenzen verständlicher gemacht wird.
Disclaimer: In Vorbereitung des oben genannten Buches habe ich für den Autor ein Gutachten zu der urheberrechtlichen Schutzfähigkeit von Tweets erstellt. Davon unabhängig stelle ich in dem obigen Blogbeitrag meine persönliche Einschätzung der Rechtslage dar, die ich bereits in einem Blogbeitrag aus dem Jahr 2009 schon in ähnlicher Form erläutert habe.
Weiterführend:
Wichtige Entscheidung des EuGH – Einbettung (Embedding) ist keine Urheberrechtsverletzung
Video Embedding & Co – Rechtliche Probleme bei der Einbindung von fremden Inhalten
Twitter & Recht – Eine Zusammenfassung der ersten straf- und wettbewerbsrechtlichen Fälle
Twitter & Recht – Stadt Mannheim fordert „ihren“ Account heraus
Verstehe ich das so richtig, das allein durch die kürze eines Textes oder Textbausteins kein Urheberrecht entsteht?
Bedeutet das nicht auch, das jeder Haiku und jedes kurze Gedicht vom Urheberrecht befreit sind, oder liegt das allein in der Art der Veröffentlichung?
Auf die Veröffentlichungsform kommt es nach dem UrhG grundsätzlich nicht an. Für Urheberrechtsschutz bei Texten muss aber eben Schöpfungshöhe erreicht werden. Das mag bei Haikus durchaus sein, bei deutschen (zu) kurzen Texte aber in der Regel eben nicht.
Danke für den Text. Unser Projekt die publisherNEWS basiert gerade auf der Idee, dass Twitternachrichten eine »öffentliche Meinungsäußerungen« darstellen. Mein Standpunkt ist, dass Medien Twitter als Quelle bei Nennung zitieren dürfen. Folgst Du dem?
Nachdenklich macht mich das Valentin-Urteil, die Erben des genialen Künstlers gehen gegen kleinste Zitate vor. Würde ich Valentin auf Twitter zitieren, müsste ich mit einer Abmahnung rechnen? Wie siehst Du das?
Liebe Grüße und eine gute Weihnachtszeit,
Andy Artmann
@artbap und @pubntweet
Sehr geehrter Herr Ulbricht,
vor nicht allzu langer Zeit durfte ich einem Ihrer sicher zahlreichen Vorträge folgen und habe Sie als kompetenten Fachmann auf Ihrem Gebiet erlebt. Daher möchte ich Ihre obigen Ausführungen auch nicht anzweifeln, rein juristisch betrachtet werden Sie schon Recht haben. Rein menschlich ist der Fall jedoch maßlos enttäuschend. Es versteht sich von selbst, dass man Gedankengut eines Anderen nicht verwendet als wäre es das eigene und sich auch noch daran bereichert. Wie armseelig für denjenigen, der dies tun muss und alle, die ihn dabei unterstützen. Und mit Verlaub, jedes billige Foto eines Gullideckels ist urhebrrechtlich eschützt und 140 kluge, amüsante, geistreiche Zeichen sollen im Regelfall keine Schöpfungshöhe erreichen? Da stimmt doch etwas nicht!
MfG N.Heine
Hallo Frau Heine, wie ich oben schreibe, habe ich oben stehend eine allein rechtliche Bewertung auf Grundlage der aktuellen Rechtslage vorgenommen. Dass man diese Einschätzung moralisch oder ethisch anders bewerten kann, ist natürlich unbenommen. Auch Ihren Vergleich zwischen einem Foto und einem Kurztext kann man sicher diskutieren. Derzeit ist das Urheberrechtsgesetz eben so angelegt, dass Fotos immer geschützt sind, Texte aber eben nur wenn sie Schöpfunhshöhe haben. Das kann man kritisieren, bei einer rechtlichen Bewertung muss ich aber eben vom UrhG ausgehen.
Herzlichen Dank für die Information. Ich halte dies für eine pragmatische Rechtsprechung. Einzig zwei Aspekte zur Einschätzung von Gestaltungs- oder Schöpfungshöhe würde ich gerne noch nachfragen. Wenn ich mich Recht entsinne, sind Zitate von Prominenten auch unabhängig davon geschützt, Bespiel Karl Valentin „Die Zukunft war früher auch besser.“ Wäre ja ein denkbarer Tweet. Woraus leitet sich da die Rechtsprechung ab? Und zweitens: Wenn ein Tweet nachweislich für ein Buch ausgewählt wurde, das verkauft wird, bestätigt dann der Verleger damit nicht selbst, dass dieser Tweet für ihn eine Gestaltungs- oder Schöpferhöhe hat?
Wer einen Text verfasst hat, ist für den Urheberrechtsschutz unerheblich. Warum sollte auch Karl Valentin mehr oder anderen Schutz haben als jeder „Noramlbürger“. Es geht allein darum, ob der jeweilige Text für sich „Schöpfungshöhe“ erreicht. Bei einem Text „Die Zukunft war früher auch besser“ kann man wohl kaum von Schöpfungshöhe ausgehen. Teilweise wurde aber tatsächlich für Karl Valentin Sprüche Urheberrechtsschutz angenommen, aber nicht weil Karl Valentin Karl Valentin ist, sondern weil das Gericht eben von einer besonderen Gestaltung ausgegangen ist. Sie etwa LG München unter http://openjur.de/u/254522.html Zu der anderen Frage siehe unten Antwort auf den Kommentar von Oliver Gassner.
Danke für die prompte Antwort. Meine zweite Frage hat Herr Gassner wohl ähnlich gestellt.
Versuche mal folgender Argumentation zu folgen:
– Aus einem Konglomerat von nichtschutzwürdigen und eventuell als kleine Münze schutzwürdigen Texten sortiert eine Person diejenigen aus, die sie für besonders geistreich, witzig, originell und unterhaltsam hält.
-Diese stellt sie zusammen und verkauft sie.
Ergibt sich daraus nicht schon automatisch, dass diese Texte offenbar Eigenschaften haben, die sie von den anderen ’normalen‘ texten aus dem Konglomerat unterscheidet? Ist nicht die Tatsache, dass diese Texte als ‚wertvoller‘ gewertet werden 8vom Urheberrechtsverletzer) der Indikator dafür, dass bei diesen Texten offenbar die geforderte Schöpfungshöhe (sagen wir: in der regel) gegeben ist?
Nehmen wir einen anderen Fall:
wer die beste Note bei uns in deutsch hatte, war gebeten seinen Aufsatz abzutippen und in Kopie an alle zu verteilen, würden nun der Lehrer diese „besten Aufsätze“ aller Klassen aus 20 Dienstjahren sammlen und publizieren so wäre das sicher ein Urheberrechtsverstoß, auch wenn Schulaufsätze normalerweise solche Qualitäten nicht erreichen.
Handelte es sich nun bei diesen Arbeiten durchgängig um Haikus, also sehr kurze Texte als etwas über einem Dutzend Silben, ergäbe sich nicht wirklich ein relevanter UNterschied. eien Sammlung der 2000 Besten Schüler-Haikus aus 20 dienstjahren wäre immer noch ein Urheberrechtsverstoß. Indem nämlich DURCH die selektion der werkcharakter per se schon bejaht wird.
Oder?
Nein, eine solche Auswahl ist immer subjektiv. Wie im Text beschrieben, bedeutet witzig oder originell nicht zwingend urheberrechtlich geschützt. Eine solche subjektive Zusammenstellung orientiert sich wohl auch nicht an den Voraussetzungen der Schöpfungshöhe, sondern an individuellen Kriterien. Die Schöpfungshöhe ist an sich aber anhand der oben genannten Kriterien objektiv zu bestimmen. Im Streitfall entscheidet natürlich ein Richter über die Schöpfungshöhe, was per se natürlich eine subjektve Einschätzung erfordert. Der Richter ist aber zumindest gehalten, möglichst objektivierbare Kriterien (nämlich die oben genannten) anzuwenden. Die Zusammenstellung durch irgendein Individuum begründet aber keinesfalls automatisch eine Schöpfungshöhe und damit auch nicht zwingend einen Urheberrechtsschutz…
Dass die Texte nicht vom „Autor“ des betreffenden Buches selbst kommen, ist ja inzwischen unstrittig – im Grunde wird hier nur noch die Frage geklärt, ob ein Verstoß gegen Urheberrechte vorliegen. Nehmen wir also einfach mal an, dass jede einzelne Textpassage (= Einzel-Tweet) keinen Urheberrechtsschutz genießt.
Dann ist doch im Grunde das gesamte Buch ebenfalls nicht vom Urheberrecht geschützt. Wenn man also das Buch z.B. einscannt und im Internet veröffentlicht, dürfe damit doch eigentlich ebenfalls kein Urheberrechtsverletzung vorliegen. Immerhin entspricht genau das der Arbeit, die der „Autor“ gemacht hat: Er hat lustige Sprüche gesammelt und veröffentlicht.
Selbst wenn die einzelnen Inhalte nicht geschützt sind, ist bei entsprechenden Zusammenstellungen bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 4 UrhG davon auszugehen, dass die Zusammenstellung als sogenanntes Sammelwerk eigenen Urheberrecchtsschutz genießt.
Ich finde, Ihre Meinung erklärt sich durch den Disclaimer ganz gut. Der Großteil der Argumente, die Sie anbringen, sind zwar vermutlich richtig, haben jedoch mit dem gerade heiß diskutierten Fall nicht viel zu tun.
So folgt aus der relativ unstittig erlaubten Möglichkeit, Tweets einzubetten, zu retweeten und entsprechend der Nutungsbedingungen über Schnittstellen zusätzlich zu verwenden (wobei bei diesen Möglichkeiten der Urheber in aller Regel genannt bleibt) keinesfalls die unstrittige Erlaubnis, Tweets ohne Nennung des Urhebers in einem Buch zu veröffentlichen. Das schreiben Sie in einem Nebensatz auch, aber es lenkt natürlich – und das ist der nächste Punkt – davon ab, dass das inkriminierte Buch natürlich gerade von den Ausnahmen lebt.
Sicher ist nicht jede halbwegs sinnvolle Kombination von 140 Zeichen urheberrechtlich geschützt. Aber eine Sammlung von unkreativen, belanglosen Alltagstweets würde wohl niemand als Buch herausbringen und damit Geld verdienen wollen.
Zur kommerziellen Zweitverwertung interessant sind doch gerade die Tweets, die es schaffen „mit Hilfe der Auswahl, der Anordnung und der Kombination verschiedener Wörter [den] schöpferischen Geist in origineller Weise zum Ausdruck zu bringen“, bei denen der Urheberrechtsschutz dann doch nicht mehr so abwegig ist. Da hilft es dann nicht viel, darauf hinzuweisen, dass die aussortierten Tweets vermutlich keinen Schutz genießen.
Insofern schließe ich mich Oliver Gassner an. Aus der Tatsache, dass jemand genau die Tweets aussucht und unter eigenem Namen bzw anonym die „mal witzigen, mal verwirrenden, mal nachdenklich stimmenden Sprüche“ sammelt, die dann „inzwischen über 2,5 Millionen Fans jeden Tag neu den Tag retten“ können (aus dem Amazon-Teaser) ergibt sich wohl schon eine Indizwirkung, dass die nötige Schöpfungshöhe bei diesen gegeben ist. Vielleicht nicht automatisch und in jedem Fall, aber doch oft genug, dass ich davon abraten würde das zu tun.
Bei der Kritik daran, dass das derzeitige Urheberrecht mit „diesem Internet“ nicht überall kompatibel ist stimme ich hingegen zu.
Vielen Dank für den Kommentar. Um den von Ihnen geäußerten Verdacht der Voreingenommenheut zu entkräften, hatte ich ganz bewußt auf meinen Blogbeitrag aus 2009 hingewiesen, in dem ich die hier ausgeführten Grundsätze zur Schöpfungshöhe bei Tweets auch schon vertreten hatte.
Ich habe volles Verständnis für kreative Twitternutzer, die es nicht richtig finden, wenn Dritte „ihre“ Tweets verwenden oder sich an diese anlehnen. Ich selbst nutze Twitter seit vielen Jahren und halte die vorherrschende Netikette für wichtig. Wie ich oben schreibe, geht es mir aber in dem obigen Blogbeitrag nicht um eine ethische Bewertung, zu der sich ja auch schon viele – grossteils aber sehr unterschiedlich – geäußert haben, sondern um eine rein urheberrechtliche. Und da halte ich es grundsätzlich für richtig, wenn gerade bei der Masse an Inhalten im Social Web eine Schwelle für Urheberrechtsschutz an Texten eingezogen wird. Sonst beklagen sich zahlreiche Internetnutzer (z.B. im Bereich der immer noch weit verbreiteten Bilderabmahnungen) immer über den (zu) engen Rahmen des Urheberrechts, nun aber soll für ganz kurze Texte Urheberrechtsschutz bestehen, mit der Folge, dass man nach deutschem Recht bis zu 70 Jahre nach dem Tod des Urhebers eines Tweets Unterlassungs- und Schadenersatzansprüche gelten machen kann, wenn irgend jemand (auch privat) den jeweiligen 140 Zeichen langen Text verwendet. Das ist glaube ich nicht richtig… Und „ein bißchen“ Urheberrechtsschutz gibt es eben nicht… Entweder solche kurze Tweets sind geschützt mit allen Rechtsfolgen oder eben nicht…
Zum Thema Urheberrecht durch Auswahl: Wie ich schon bei Oliver Gassner zu erklären versuche, genügt es für Urheberrechtsschutz eben nicht, wenn „irgendjemand“ einen Tweet für so relevant oder wirtzig hält, dass er ihn anderweitig veröffentlicht. Entscheidend ist, ob das Urheberrechtsgesetz einen Text für entsprechend schützenswert hält und das hängt – wie gesagt – allein von der Schöpfungshöhe ab. Die Auswahl führt also sicher nicht zu dem zwingenden Schluss einer Schöpfungshöhe…
Habe ich das so richtig verstanden ? :
Wenn ein Twitter Nutzer einen Lustigen Spruch erstellt den zufällig Millionen Menschen toll/witzig/originell finden, hätte er keinen Anspruch auf einen Schutz durch das Urheberrecht (Allein wegen der Länge und weil er sonst nicht Kreativ Schaffend ist).
Wenn jetzt aber z.B. ein Künstler einen witzigen/originellen/tollen Spruch der Bezug zu seinem aktuellen/vergangenen Künstlerischem Schaffen hat, dann könnte dieser Spruch nach einer Prüfung tatsächlich Schützenswert sein.
(Z.b. ein Maler der durch seine Werke auf bestimmte Politische/Ökologische/Ökonomische Probleme aufmerksam macht und im Rahmen dessen einen kurzen Spitzzüngigen Tweet verfasst der sich auf das Thema seines/r Werke/s (vergangen oder gegenwärtig) bezieht).
Hallo Carsten,
danke für den präzisen und klärenden Beitrag! Die meisten Kommentare drehen sich ja nicht um die juristischen Aspekte, sondern um eine Bewertung des Umstands, dass jemand „einfach so“ Tweets woanders veröffentlicht. Und auch hier finde ich dein Argument sehr überzeugend, dass man mit der Masse an Kleinsttexten im Web doch ein wenig pragmatisch umgehen sollte. Wie du schon schreibst: Man stelle sich mal vor, dass jeder Tweet Schöpfungshöhe für sich beanspruchen und bis 70 Jahre nach Tod seines Verfassers Urheberrechtsschutz genießen dürfte. Und natürlich nicht nur Tweets, sondern alle Mini-Textchen um die 100 Zeichen, jeder Kommentar auf Facebook, jedes in einem Zweizeiler formulierte „Gefällt mir“ – na Servus und gute Nacht.
Mich wundert die ganze Aufregung. Sonst beschweren sich alle Digital-Affinen (zu Recht) über die engen Fesseln des veralteten Urheberrechts. Aber wenn es mal um einen eigenen Tweet geht, will man auf einmal mit einer noch schärferen Auslegung desselben Urheberrechts ins Feld ziehen. Dahinter steckt vielleicht auch eine leichte Überschätzung der eigenen Kreativität und Bedeutung. Nur weil man mal einen Gedanken halbwegs kreativ in die Welt gesetzt hat, heißt das wirklich nicht, dass man ihn jahrzehntelang urheberrechtlich einmauern und potenziell zum Gegenstand juristischer Auseinandersetzungen machen muss. Mit anderen Worten: Einfach mal die Kirche im Dorf und den Tweet in der Welt lassen.
Viel Grüße, ruhige Feiertage, guten Rutsch!
Christian
Was ist denn mit eigenen Fotos, die getwittert werden? Gibt der Fotograf damit alle Rechte ab und andere bauen den Post einfach folgenlos in ihre Beiträge ein? Siehe z.B: http://www.tagesspiegel.de/sport/tour-de-france-ende-aller-ehren-tony-martin-muss-verletzt-aufgeben/12036532.html
Nr.5 der Twitter Terms of Service (siehe https://twitter.com/tos?lang=de ) regeln die Rechteeinräumung an den Nutzerinhalten. Danach werden Twitter die Rechte eingeräumt, die Inhalte im Rahmen der eigenen Werkzeuge selbst zu nutzen und auch im Rahmen der über die Twitter Schnittstelle (API) zur Verfügung gestellten Werkzeuge unterzulizenzieren. Wenn ich es richtig sehe, ist das bei Tagesschau.de eingefügte Bild über ein solches Werkzeug eingebunden. Das ist wohl zulässig. Das „Herunterkopieren“ eines solchen Bildes und Veröffentlichen auf der eigenen Webseite wäre hingegen wohl urheberrechtlich problematisch.
Offen ist allerdings die Frage, ob die Twitter Terms of Service in der Form überhaupt wirksam sind. Das kann man AGB-rechtlich durchaus diskutieren.
Danke für die Antwort. Angesichts des aktuellen „Framing“-Urteils und dem Böhmermann-Fall wäre da bei twitter jetzt die Frage was gilt, wenn über die API ein Post samt Bild, das aber einem Dritten gehört, also unerlaubterweise bei Twitter gepostet wurde, wiederum auf einer weiteren Seite eingebunden wird. Wäre dann Herr Böhmermann auch für die API-Einbindungen zusätzlich haftbar? Der Tagesspiegel wird sicher nichts zahlen wollen und redet sich auf die erlaubte API-Einbindung heraus.