Heute Vormittag habe ich gemeinsam mit Peter Ambrozy den ersten Termin vor dem LG Stuttgart in Sachen edelight wahrgenommen (siehe „Musterprozess geht in die erste Runde“ bzw. noch einmal die Hintergründe zu dem Sachverhalt im Blog von edelight).
Wir hatten ja auf ein streitiges Urteil des LG Stuttgart gehofft, mit dem die Frage der Haftung eines Portalbetreibers wie edelight für „User Generated Content“ weitergehender Klarheit zugeführt worden wäre.
Wir haben gewonnen, aber…
Nun ist das LG Stuttgart aber „so sehr“ unserer Argumentation gefolgt, dass es dem gegnerischen Rechtsanwalt dringend geraten hat, den unsererseits in der Klage geltend gemachten Feststellungsantrag anzuerkennen. Nach kurzer Unterbrechung und telefonischer Rücksprache mit seinem Mandanten hat der gegnerische Rechtsanwalt dann tatsächlich anerkannt. (Als Hintergrund: Das Anerkenntnis hat für dessen Mandanten den Vorteil, dass die von der unterlegenen Partei zu tragenden Kosten des Verfahrens etwas reduziert werden, weshalb das Gericht der voraussichtlich unterliegenden Partei bisweilen zu einem entsprechenden Anerkenntnis rät).
Eigentlich bedeutet ein solcher Verlauf „einen Sieg auf ganzer Linie“ und führt zu einer großen Zufriedenheit bei Mandant und Anwalt, wenn sogar die Gegenseite allumfassend anerkennt (bzw anerkennen muss), dass man selbst Recht hat.
Vorliegend führt das aber dazu, dass es eben „nur“ ein Anerkenntnisurteil gibt, welches leider keine Urteilsgründe enthält (die wir ja für eine weitergehende Klarstellung so gern gehabt hätten.) Das schizophrene an der Situation ist nun also, dass wir voll gewonnen haben (und insofern hochzufrieden sein könnten), aber doch irgendwie nicht das bekommen haben, was wir wollten (sprich: Urteilsgründe).
Auch wenn wir diese also leider nicht bekommen werden, ist die Entscheidung natürlich als weiterer, deutlicher Fortschritt in der Begrenzung der Haftung von entsprechenden Content-Providern zu werten. Das Gericht hat in der mündlichen Verhandlung sehr deutlich gemacht, dass es im wesentlichen der Argumentation aus unseren Schriftsätzen folgt und vorliegend eben gerade keine Verantwortlichkeit von edelight für den spezifischen „User Generated Content“ angenommen werden kann.
Argumentation des LG Stuttgart
Mangels schriftlicher Urteilsgründe bleibt uns hier nur die Option darzustellen, auf welche Gründe das LG Stuttgart in der mündlichen Verhandlung seine Einschätzung im Wesentlichen gestützt hat.
Festgestellt wurde zunächst, dass den Betreiber einer solchen Plattform keine Pflicht trifft, etwaige Beiträge vorab zu kontrollieren. Soweit eine Rechtsverletzung durch „User Generated Content“ – wie vorliegend – nicht auf ersten Blick evident und für den Portalbetreiber ohne weiteres zu erkennen war, kann eine Verantwortlichkeit grundsätzlich erst ab Kenntnis (d.h. regelmäßig ab der Abmahnung) angenommen werden. Erscheint die behauptete Rechtsverletzung plausibel, hat der Portalbetreiber den jeweiligen Inhalt unmittelbar zu löschen. Genau das hatte edelight getan, während die Abgabe der Unterlassungserklärung genauso wie jedwede Übernahme der (Abmahnungs-)kosten abgelehnt wurde. Eine Haftung von edelight konnte mangels Kenntnis vorliegend nicht angenommen werden. Das Gericht stellte erfreulicherweise klar, dass entsprechenden Geschäftsmodellen gerade keine unverhältnismässigen Hürden (sprich: Prüfungspflichten) in den Weg gelegt werden dürften.
Der Anwalt der Gegenseite hat dann noch versucht zu argumentieren, dass im vorliegenden Geschäftsmodell entsprechende Rechtsverletzungen gerade angelegt seien und deshalb den gesamten Markenschutz in Frage stellten. Dieser zweifelhafte Vortrag konnte jedoch mit entsprechenden Hinweisen auf die AGB von edelight bzw. darauf dass etwaige zur Verfügung gestellte technische Hilfsmittel immer missbraucht werden können, entkräftet werden. Wie wir, konnte und wollte das LG Stuttgart dann auch die Argumentation der Gegenseite insgesamt nicht nachvollziehen.
Prüfungspflichten ab Kenntnis von einem Rechtsverstoss
Ohne dass das im vorliegenden Rechtsstreit von Belang war, möchte ich etwaige Betroffenen – der Vollständigkeit halber – auf einem entsprechenden Sachverhalt nachfolgende Prüfungspflichten hinweisen. Nach einem entsprechend begründeten Hinweis auf eine Rechtsverletzung trifft den Portalbetreiber nämlich die Pflicht zukünftiges Content so zu überwachen, dass „kerngleiche“ Rechtsverstöße nicht mehr vorkommen. Was konkret erforderlich ist, um diesen Überwachungspflichten genüge zu tun, ist von der Rechtsprechung (noch) nicht abschließend geklärt und hängt maßgeblich von den Umständen des Einzelfalles ab. Denkbare Mechanismen sind beispielsweise Textfilter, deren Ergebnisse dann noch einmal einer Einzelprüfung zu unterziehen sind. Entscheidend ist wahrscheinlich, ob es sich um eine privates oder gewerbliches Portal handelt bzw. welche Prüfungsmechanismen technisch möglich und dem konkreten Betreiber zumutbar sind. Im Rahmen der Entscheidung, welche Maßnahmen zumutbar sind, spielen außerdem Kriterien wie die Intensität der Rechtsverletzung aber auch Grundrechte wie Meinungs- oder Pressefreiheit eine Rolle.
Zurück zum Prozess
Vorliegend jedenfalls wurde seitens des Gerichts klar zum Ausdruck gebracht, dass Portalbetreiber wie edelight grundsätzlich erst dann zur Verantwortung gezogen werden können, wenn Sie trotz Kenntnis von einem entsprechenden Rechtsverstoß den rechtswidrigen Zustand aufrechterhalten.
Forum-Shopping
Meiner Meinung nach war es rückblickend ein guter „Schachzug“ mit der negativen Feststellungsklage zum „Gegenangriff“ überzugehen und so die Angelegenheit zum LG Stuttgart zu ziehen, welches tendenziell eine portalbetreiberfreundlichere Haltung hat als die zuständige Kammer des LG Hamburg , welche insofern eine zweifelhafte Berühmtheit erlangt hat (siehe „Hamburg ist keine Reise wert“). Der Vertreter der Gegenseite kommt vielleicht nicht ganz zufällig aus Hamburg und führt entsprechende Verfahren bisweilen vor dem dortigen Landgericht.
In vergleichbaren Fällen ist Betroffenen also zu raten, sich zu überlegen, ob man nicht ebenfalls mit einer negativen Feststellungsklage, die Angelegenheit zu einem anderen Gericht zieht. Bei solchen Abmahnungen im Zusammenhang mit Internetportalen lässt sich die Zuständigkeit grundsätzlich vor jedem beliebigen Landgericht Deutschlands begründen (unter Juristen auch „Forum-Shopping“ genannt). Das LG Stuttgart hat sich vorliegend als kein schlechter Gerichtsstand herausgestellt.
Ich habe mich bemüht, in den obigen Ausführungen mich nicht allzu sehr in juristischen Feinheiten zu verlieren. Alle die es interessiert finden hier detailliertere Ausführungen zu unserer Argumentation und der von uns vertretenen Rechtsauffassung.
Allen anderen Betroffenen bleibt zu wünschen, dass sie von entsprechenden Abmahnungen verschont bleiben. Dennoch bin ich – nicht zuletzt aufgrund der heutigen Verhandlung – im Hinblick auf die Entwicklung der Rechtsprechung durchaus positiv gestimmt, zum einen weil das LG Stuttgart unserer Argumentation gefolgt ist und zum anderen weil es deutlich zum Ausdruck gebracht hat, dass man zukunftsträchtigen Geschäftsmodellen (wie edelight) keine unverhältnismäßigen „rechtlichen Steine“ in den Weg legen kann.
Ausblick
Meiner Einschätzung nach wird 2007 ein spannendes Jahr, was die weitere Entwicklung der Rechtsprechung in diesem Bereich anbetrifft. Wenn mangels ausführlicher Urteilsgründe auch nicht ganz das angestrebte Ziel erreicht werden konnte, so konnten wir mit der negativen Feststellungsklage vielleicht doch ein bisschen zu einer portalbetreiberfreundlicheren Rechtsprechung beitragen (und vielleicht auch ein bißchen dem anhaltenden Abmahnwahn entgegentreten).
Für das rege Interesse an diesem Verfahren und die unterstützenden Mails und Kommentare möchten wir uns ausdrücklich noch einmal bedanken.
Hmm… Gratulation – vielleicht gibt es ja inzwischen schon neuere Urteile.