Der Fall Niggemeier, über den ich bereits vor einiger Zeit berichtet hatte, gibt in der Blogosphäre auch nach dem Urteil des LG Hamburg (Urteil vom 03.12.2007, 324 O 794/07 – vom Betroffenen persönlich in Auszügen veröffentlicht) weiter Anlass zu heftiger Diskussion (siehe hierzu auch den Beitrag bei Spiegel online oder beim Tagesspiegel).
Dies liegt unter anderem an der sehr differenziert gestalteten – aus Sicht der herrschenden Rechtsprechung aber zweifelhaften – Entscheidung des LG Hamburg.1.Der rechtliche Hintergrund
Der ständigen Rechtsprechung des BGH (und vieler anderer Gerichte) folgend kann man als Blogbetreiber grundsätzlich davon ausgehen, dass keine Pflicht zur Vorabkontrolle von Beiträgen in der Kommentarleiste besteht. Wird ein Blogbetreiber auf einen rechtsverletzenden Eintrag aufmerksam gemacht, hat er diesen zu überprüfen und unverzüglich zu löschen. Unter diesen Voraussetzungen besteht in aller Regel weder ein Unterlassungs-, noch ein Schadenersatz- oder Kostenerstattungsanspruch des Verletzten. Nach einem derartigen Vorfall sind Blogbetreiber jedoch dazu verpflichtet, „kerngleiche“ Rechtsverstöße künftig zu verhindern.
2. Die Entscheidung
Die Entscheidung des LG Hamburg (das auch in vorangegangen Entscheidungen häufig eine abweichende Meinung vertrat) im Fall Niggemeier ist vor diesem Hintergrund nicht ganz einfach zu verstehen:
Der Blogbetreiber hatte einen offensichtlich rechtsverletzenden Kommentar, der am 12.08.2007 um 3.37 Uhr auf seinem Blog eingestellt worden war wohl bereits um 11.06 (also innerhalb von 8 Stunden) ohne externen Hinweis von selbst gelöscht. Dennoch sieht das LG Hamburg eine Verantwortlichkeit des Blogbetreibers für diesen fremden Kommentar als gegeben an.
Das Landgericht führt zunächst aus, dass eine Haftung grundsätzlich dadurch begründet sei, dass der Blogbetreiber ein Forum zur Verbreitung von Inhalten zur Verfügung stelle. Eine Haftung auf Unterlassung sei daher immer dann gegeben, wenn eine Prüfungspflicht verletzt wurde.
Hierbei möchte das Landgericht eine Einzelfallunterscheidung vornehmen:
„Ob und inwieweit dem Betreiber Prüfpflichten obliegen, ist anlassbezogenen zu beurteilen. Dabei ist eine Abwägung vorzunehmen: Je mehr konkreter Anlass zu der Befürchtung besteht, dass es durch Kommentare auf einer Internetseite zu Persönlichkeitsrechtsverletzungen Dritter kommen wird, und je schwerwiegender die zu befürchtenden Verletzungen sind, umso mehr Aufwand muss der Betreiber auf sich nehmen, um die auf seiner Seite eingestellten Kommentare einer persönlichkeitsrechtlichen Überprüfung zu unterziehen.“
Das Landgericht bezeichnet dies als einen „gleitenden Sorgfaltsmaßstab“ mit „abgestuften Prüfungspflichten“. Je wahrscheinlicher es also ist, dass ein Beitrag zu rechtsverletzenden Kommentaren anstachelt, desto höher die Prüfungspflicht. Dies begründet das Landgericht damit, dass eine interessengerechte Abwägung zwischen Meinungs- und Medienfreiheit und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht nur so gewährleistet werden könne.
Der Beitrag sei im konkreten Fall derart überspitzt gefasst gewesen, dass der Blogbetreiber mit problematischen Kommentaren rechnen musste. Eine Kontrollpflicht sei deshalb spätestens erwachsen, als anhand der ersten Kommentare klar war, dass rechtsverletzende Kommentare drohten.
Damit begründet das LG Hamburg in derartigen Fällen also doch eine Pflicht, fremde Beiträge vor der Veröffentlichung im Internet zu kontrollieren.
3. Rechtliche Bewertung
Im Hinblick auf den „gleitenden Sorgfaltsmaßstab“ rückt das LG Hamburg damit erneut von der sonst herrschenden Rechtsprechung ab.
Ginge man nämlich tatsächlich von einem abgestuften System aus, so kommt es im Extremfall (wie auch in dem hier diskutierten) faktisch zu einer Vorabprüfungspflicht des Blogbetreibers. Dies steht jedoch im klaren Widerspruch zu den Entscheidungen des BGH und anderer Gerichte, die eine Vorabprüfungspflicht unter Anlehnung an den Wortlaut des Gesetzes ablehnen.
Einem gut frequentierten Blog ist es schließlich kaum möglich, bei der bestehenden Eigendynamik des Internets alle Kommentare zeitnah zu überprüfen. Auch in rechtlicher Hinsicht ist eine Vorabprüfungspflicht nur schwer vertretbar. Damit würde einem Blogbetreiber nämlich auferlegt, sich gut genug im Bereich der Abwägung zwischen Persönlichkeitsrecht und Meinungsfreiheit auszukennen, um eine automatische Haftung zu verhindern. Diese Bereiche werden aber selbst in der Rechtsprechung nicht immer einheitlich gesehen, weshalb ein juristischer Laie entweder übervorsichtig sein müsste, wodurch sein Blog an Attraktivität einbüßen würde, oder auf ständige Rechtsberatung angewiesen wäre.
Vorzugswürdig erscheint darauf abzustellen, ob der Blogbetreiber sich potentielle Kommentare schon durch seinen Beitrag zu eigen machen will. Das heißt, ob ein Blogbeitrag tatsächlich eine unterschwellige Aufforderung an die Leser enthält, sich überspitzt kritisch und damit eventuell auch rechtsverletzend zu äußern. In diesem Fall wären die Kommentare dem Blogbetreiber als eigene zurechenbar und er würde dafür haften, wie für sonstige von ihm eingestellte Inhalte.
Dieser Weg hätte den Vorteil, dass die breite Masse der Blogbetreiber keine Vorabprüfungspflicht befürchten müsste (und so weiterhin die unter 1. dargestellten Maßstäbe befolgen könnte) und dennoch ein gerechter Ausgleich mit dem Persönlichkeitsrecht Dritter geschaffen werden könnte. Sofern ein Blogbetreiber seinen Beitrag so anlegt, dass rechtsverletzende Aüßerungen geradezu provoziert werden, erscheint es nämlich auch nicht ungerechtfertigt, ihm diese Inhalte als eigene zuzurechnen und so die Konsequenzen dafür tragen zu lassen.
4. Fazit
Das LG Hamburg geht in seiner aktuellen Entscheidung – entgegen dem Wortlaut des Gesetzes – von der Pflicht aus, fremde Inhalte vor der Veröffentlichung zu prüfen, wenn „konkreter Anlass zu der Befürchtung besteht, dass es durch Kommentare auf einer Internetseite zu Persönlichkeitsrechtsverletzungen Dritter kommen wird“. Zum Glück steht das LG Hamburg mit dieser Rechtsauffassung relativ alleine…
Niggemeier hat bereits angekündigt in Berufung zu gehen. Angesichts aktueller Entscheidungen des dafür zuständigen OLG Hamburg ist allerdings nicht unbedingt davon auszugehen, dass die Berufung von Erfolg gekrönt sein wird…
Weiterführend:
Haftung für User Generated Content – Grundsätze und Hinweise für die Praxis
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Lieber Kollege,
Sie haben natuerlich Recht, dass das LG HH hier in gewisser Weise abweichend urteilt. Andererseits muss eben auch gesehen werden, dass der Fall durch den provozierenden Beitrag besonders gelagert wurde.
Das will ich aber gar nicht vertiefen, sondern nur einen kleinen Kommentar zu einem speziellen Argument:
Es wird immer wieder gern davon geredet, dass in der heutigen Zeit und mit dem Internet etc. eine Ueberpruefung gar nicht machbar waere und eine solche Pflicht die Meinungs- und Pressefreiheit unbillig einschraenke, so aehnlich sehen Sie es ja auch.
Das ist leider ueberhaupt nicht wahr. Machen wir doch die Blogs nicht wichtiger als sie sind. Die allerwenigsten Blogs duerften so viele Kommentare haben, dass sich Probleme mit der Kommentarkontrolle ergeben sollten. In Deutschland wohl nur eine Handvoll. Wer das Blog – wie etwa Herr N., nuneinmal so intensiv nutzt, um ja durchaus auch persoenlichen Gewinn daraus zu erwirtschaften, und sei er auch bspw. nur in Form von Publicity, der muss nunmal auch gewisse Kosten (Zeit, oder bspw. eine stud. Hilfskraft)dafuer aufwenden. Im Uebrigen gibt es ja nun die Funktion, Kommentare erst nach Freigabe zuzulassen. In Faellen wie dem hier vorgetragenen duerfte dies doch dem Betreiber zuzumuten sein, oder nicht?
Ich vermisse ein wenig die Opferseite in der Debatte (nicht von ungefaehr, wird diese ja vor allem von Blogs gefuehrt). Es ist nicht schoen, oeffentlich als Animoese oder sonst irgendwie beschimpft zu werden. Auch das sollte bedacht werden, wenn gegen angebliche Zensur gewettert wird.
Mit besten Gruessen,
Chirstoph Endell
PS und eben sehe ich, dass ja auch Sie es so halten, dass Kommentare erst nach Pruefung freigeschaltet werden. QED
Hallo Herr Kollege,
natürlich darf man die Opfersicht nicht völlig außer Acht lassen. Auch ist zu bedenken, dass Herr Niggemeier natürlich bewußt heikle Themen aufgreift.
Nichtsdestotrotz ist hier eine Verantwortlichkeit des Blogbetreibers doch ernsthaft in Frage zu stellen, nachdem der Inhalt, der eben in der Nacht eingestellt worden ist, noch am darauf folgenden vormittag gelöscht worden ist.
Da eine Verantwortlichkeit für fremde Inhalte eben nach der herrschenden Rechtsprechung nur bei Mißachtung von Prüfungspflichten angenommen werden soll und eben grundsätzlich keine Vorabprüfungspflicht bestehen soll, halte ich eine Verantwortlichkeit im vorliegenden Fall zumindest für fraglich. Meines Erachtens hat Herr Niggemeier sogar sehr schnell reagiert…. Einen Unterlassungsanspruch könnte man also nur annehmen, wenn man sagt, dass die Prüfungspflichten noch weiter reichen, als dass was vom Blogbetreiber geleistet worden ist. Und damit tue ich nmich vorliegend doch etwas schwer…
Anders könnte der Fall meines Erachtens eben nur beurteilt werden, wenn man – wie dargestellt – davon ausgeht, dass der Blogbetreiber sich die potentiellen Kommentare schon durch seinen Beitrag zu eigen macht.
MfG
CU
Ich muß Herrn Endell zustimmen. Es kann nicht angehen, daß technische Unmöglichkeit bzw. Unzumutbarkeit als Argument für die uneingeschränkte Kommentierung von Beiträgen besonderer Brisanz angeführt wird. Denn eine Einschränkung ist weder technisch unmöglich noch unzumutbar – gerade bei einem Blog dieser Popularität. Herr Niggemeier selbst ist meines Wissens Mitbetreiber des BILDblog, welches selbst seit Anbeginn keinerlei Kommentierung der Beiträge zuläßt. Interessant wäre zu erfahren, aus welchem Grund das dort so gehandhabt wird. Ferner gibt es – wie ja bereits genannt – die Möglichkeit der Vorabprüfung, wie z.B. bei Tageszeitungen wie der FAZ. Wenn für mich als Blogautor absehbar ist, daß Kommentatoren Pöbeleien veröffentlichen, dann halte ich es in diesem Fall zumindest für sinnvoll – wenn nicht für notwendig – daß das LG Hamburg eine differenzierte Ansicht zum BGH-Urteil hat und dieses quasi „verfeinert“, auch wenn das in letzter Konsequenz bedeutet, daß vom BGH-Urteil abgewichen wird. Durch die Löschung an sich hat sich Herr Niggemeier zwar völlig korrekt verhalten; die Kommentare waren aber für viele dennoch einsehbar. Ein wenig Verantwortung sollte man Bloggern – gerade, wenn sie wiederholt, gerne und öffentlich in Wespennester stechen – schon zugestehen.
Ich denke eine allgemeine Pflicht zur Überprüfung jeglicher Kommentare geht zu weit. Denn an für sich kann man doch erwarten, dass sich die größte Teil der User an die Umgangsformen und Regeln hält.
Die Ansicht des LG kann ich nicht nachvollziehen, denn immerhin hat der Blogbetreiber den Kommentar in kürzester Zeit gelöscht, ohne externen Hinweis. Insofern sehe ich keine Pflicht von ihm verletzt.
Kann ich dann eigentlich auch den Besitzer einer Hauswand verklagen, wenn jemand ein Hakenkreuz daran geschmiert hat?