Dieses Blog behandelt in der Regel rechtliche Themen im Bereich Internet und Social Media.
Aufgrund aktueller Beiträge wie „Stuttgart21 – wer zieht die Notbremse“ bei denen im Zusammenhang mit dem Projekt Stuttgart21 argumentiert wird, die Landesregierung bzw. die Betreiber des Projekts könnten sich unter Hinweis auf das Rechtsinstitut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage ausnahmsweise von den Verträgen lösen, möchte ich meinen Kommentar beim Blog ‚Spiegelfechter‘ hier ausnahmsweise – und insoweit Off-Topic – einmal gesondert veröffentlichen. Dies zum einen, weil dies aus juristischer Sicht so nicht stehen bleiben kann und zum anderen, weil ich als (zugereister) Stuttgarter von dem Thema unmittelbar betroffen bin.
Diese Ausführungen sind kein – wie auch immer geartetes – politisches Statement, sondern versuchen nur anhand der juristischen Grundsätze zu eruieren, ob im Zusammenhang mit dem Projekt Stuttgart21 das Rechtsinstitut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage argumentativ herangezogen werden kann.
1. Mein Kommentar auf dem Blog „Spiegelfechter“
Nach Lesen des Artikels (aber lediglich kursorischer Durchsicht der Kommentare) darf ich zu dem angeführten Institut des “Wegfalls der Geschäftsgrundlage” mal etwas aus juristischer Perspektive (und Erfahrung) sagen.
Leider ist das mit dem Wegfall der Geschäftsgrundlage nicht so einfach, wie es hier dargestellt wird. Rechtsanwälte die versucht haben sich darauf vor Gericht zu berufen, werden mir wahrscheinlich weitgehend Recht geben.
Richtigerweise reicht es für die Annahme des Wegfalls einer Geschäftsgrundlage nicht, wenn sich irgendwelche Rahmenbedingungen (wie z.B, die kalkulierten Kosten) ändern. Sonst wäre es ja auch ein Einfaches aus vielen Verträgen wieder “herauszukommen”, wobei der Vertragspartner – der unabhängig von etwaigen Schadenersatzansprüchen – auf das Bestehen das Vertrages vertraut, regelmässig der “Dumme” wäre. Schadenersatz ist – insbesondere im Hinblick auf die konkrete Höhe des Schadens – bisweilen sehr schwierig zu beweisen.
Man soll insofern auf den Bestand von Verträgen in aller Regel vertrauen können und nur in ganz extremen (und nach der Rechtsprechung sehr begrenzten) Umständen wieder aufgrund eines Wegfalls der Geschäftsgrundlage sich vom Vertrag lösen können.
Der Kommentar von Jauernig zum Bürgerliches Gesetzbuch (13. Auflage 2009) führt dazu aus:
“Durch Umstände, die in den Risikobereich einer Vertragspartei fallen, wird die Geschäftsgrundlage des Vertrags grundsätzlich nicht berührt (BGH 74, 373; 120, 24; 121, 392; 129, 253, je mN, stRspr). Nicht zur Geschäftsgrundlage gehören daher Störungsereignisse, in denen sich Risiken verwirklichen, die eine Partei übernommen hat,…die auf sie übergegangen sind (zB gem §§ 446 f) oder die zu ihrem allg Vertragsrisiko gehören (BGH 83, 289; NJW 91, 1479).”
Die hier genannten Gründe “Kostenexplosion, die vorenthaltenen Betriebsrisiken, aber auch die mangelnde Akzeptanz der Bevölkerung” gehören sicherlich in den Risikobereich der Betreiber von Stuttgart21 und nicht deren Vertragspartner.
Aus meiner Sicht ist der Wegfall der Geschäftsgrundlage also sicher nicht geeignet, um so (unabhängig von der politischen Ausrichtung) rechtlich begründen zu können, dass sich die Betreiber von S21 von den Verträgen lösen können. Dabei wären überdies auch die konkreten (weitgehend unbekannten) Regelungen in den Verträgen miteinzubeziehen.
Das gleich gälte eben auch für den Familienvater mit dem Baugrundstück. Der Vertragspartner würde sich “bedanken”, wenn der Vertrag wegen explodierter Kosten einfach gekündigt werden könnte und dieser dann den konkreten Schaden beweisen und ggfls. über mehrere Instanzen und Jahre streiten müsste, bis er irgendwann an sein Geld kommt.
2. Resumee
Zusammenfassend ist zu sagen, dass nach derzeitigem Kenntnisstand natürlich nicht ausgeschlossen werden kann, dass es (auf Grundlage einer anderen juristischen Argumentation) Möglichkeiten gibt, nach denen sich die Betreiber von den bestehenden Verträgen lösen können. Dazu müsste man sich aber mit den Verträgen selbst auseinandersetzen. Von einem Wegfall der Geschäftsgrundlage kann unter Berücksichtigung der vorliegenden Informationen aus den oben genannten Gründen aber sicher nicht ausgegangen werden.
Hallo Herr Ulbrich,
vielen Dank für Ihre Ausführungen, die Sie sehr anschaulich dargelegt haben.
Bezüglich der Vertragssituation von derzeit noch in Vergabe befindlichen Aufträgen kann man ja nicht sagen, dass die Vertragsparteien jeweils nicht wüßten, dass die Vertragsgegenstände derzeit „extrem heißes Terrain“ sind. Einerseits weiß ein potentieller Auftragnehmer, dass Umstände eintreten können, die ein mit ihm geschlossenen Vertrag aus gesellschaftlich/politischen Gründen hinfällig werden lassen. Aus meiner Sicht entfällt allein dadurch das Recht auf eine Entschädigung. Das ist, wie wenn ich „Heiße Aktien“ kaufe, da brauch ich mich auch nicht zu beklagen, wenn die hinterher nix mehr wert sind.
Zum anderen weiß ja auch der Auftraggeber, dass die Sache mehr als heikel ist. Schließt er einen Vertrag in dieser Situation, geht er doch sehenden Auges das Risiko ein, dass die Haftung ggf. nicht sein Unternehmen trifft, sondern ihn persönlich.
Wir reden schließlich nicht über einen rein hypothetischen Fall eines unvohersehbaren Erdbebens, sondern um die bekannte und konkrete Frage, ob zur Abwendung der Spaltung einer Bevölkerung und von weitergehenden politischen Unruhen das Projekt nur noch gestoppt werden kann.
Aus meiner Sicht darf in dieser Situation kein Vorstand Aufträge vergeben und kein Auftragnehmer auf Entschädigung aus nicht erfüllbaren Aufträgen hoffen.